CD 5 Cherubini Messe Solennelle
CD 5 Luigi Cherubini Requiem in c-Moll Messe - Messe Solennelle
LUIGI CHERUBINI (1760-1842)
Requiem c-moll
1 Marche funèbre 4’39 Requiem in c-Moll Missa pro defunctis (En Ut b) à 4 voix, avec accompagnement. Paris 1816. No. II
2 Introitus 6’08
3 Graduale 1’16
4 Dies iræ 9’33
5 Offertorium 15’12
6 Sanctus 1’27
7 Pie Jesu 3’13
8 Agnus Dei 6’43
9 In Paradisum 7’51
CHORUS MUSICUS KÖLN
DAS NEUE ORCHESTER
Dirigent CHRISTOPH SPERING
Luigi Cherubini: Requiem c-Moll
Paris, 21. Januar 1796: In einem Staatsakt wird der 3. Jahrestag der Hinrichtung Ludwigs XVI. gefeiert. Cherubini dirigiert einen Chor mit den Worten "Racheschwur dem Königsthum".
Paris, 21. Januar 1816: Staatsakt zum Andenken an den hingerichteten König Ludwig XVI. Cherubini komponiert zu diesem Anlass sein Requiem in c-Moll.
Wenn jemand bei diesen beiden Anlässen für die Musik sorgt, lässt das eine gewisse Wendigkeit vermuten. Wie kam der Italiener Cherubini zu diesen französischen Staatsaufträgen?
Der 1760 in Florenz geborene Luigi Cherubini entstammt einer Zeit, in der Italien noch als Mutterland der Musik galt. Italienische Musiker wurden in ganz Europa den einheimischen vorgezogen. Auch Cherubini ging nach seiner italienischen Lehrzeit ins Ausland und ließ sich 1787 für den Rest seines langen Lebens in Paris nieder. Er wurde die dominierende Persönlichkeit des französischen Musiklebens als Komponist, als Leiter der Chapelle Royale und schließlich als Lehrer und Direktor des Konservatoriums. Als letzterer prägte er so gut wie alle französischen Komponisten der Zeit.
Kein Wunder, dass sich die Herrschenden für sein Schaffen interessierten. Sie wechselten schnell in jener Zeit: kaum hatte man sich mit den Verhältnissen arrangiert, war schon wieder alles anders. Cherubini erlebte kulturellen Glanz und Niedergang des Ancien Régime unter Ludwig XVI. (dem er später das Requiem schrieb), die Begeisterung der frühen Revolutionsjahre, die Schreckensherrschaft, Napoleon als Konsul und als Kaiser, die Restauration, die Julirevolution und den Bürgerkönig Louis-Philippe. Den ersten Ruhm errang Cherubini mit seinen Opern.
Die Revolution warf vieles durcheinander, verringerte aber nicht das Interesse an der Oper. Einige seiner besten und beliebtesten Opern komponierte er in dieser Zeit. Aber auch Revolutionshymnen schrieb er auf den Tod von Revolutionshelden oder für das Fest des Höchsten Wesens. Auch die Zeit des Grand Terreur kam ohne Musik nicht aus.
Cherubinis Frau sagte später: „Vormittags wurde guillotiniert, und abends waren die Theater bis auf den letzten Platz gefüllt.“ Cherubini überstand die Schreckensherrschaft heil und mit ungebrochenem Ansehen. Der neue Herrscher Napoleon war ein Verehrer italienischer Musik.
Cherubini profitierte jedoch nicht davon: Er war Napoleon zu französisch, die offiziellen Aufträge gingen meist an andere Italiener. Cherubini war wenig beschäftigt und wurde depressiv. Er brauchte lange, um aus der Schaffenskrise herauszukommen, wandte sich dann immer mehr von der Oper ab und komponierte ab 1808 geistliche Werke.
Sehr ungewöhnlich zu dieser Zeit, denn nach den kirchenfeindlichen Zeiten der Aufklärung, der Revolution und des Kaiserreiches gab es für geistliche Musik keinen Bedarf. Zu Cherubinis Glück kam nach dem Sturz Napoleons mit Ludwig XVIII. ein König an die Macht, der nicht nur kunstsinnig, sondern auch tiefreligiös war. Er hatte Cherubini aus vorrevolutionären Tagen noch in guter Erinnerung und machte ihn zu einem der Leiter der Chapelle Royale.
Der erste wichtige Auftrag war die Komposition einer Totenmesse zum Gedenken an den hingerichteten Ludwig XVI., den Bruder des neuen Königs. Erinnerten sich Auftraggeber und Komponist noch an die Feier der Hinrichtung vom 21. Januar 1796?
Gerne wüssten wir, ob Cherubini einst die Schmähung des Königs am Herzen lag oder nun die Trauer um ihn, oder sogar beides. Leider gibt uns Cherubini keine Hilfen zur Interpretation seines Werkes. Während sein Zeitgenosse Beethoven flammende Appelle an die ganze Menschheit richtet, versteckt sich Cherubini in seinen Werken. Wieder einmal stellen wir beim Hören fest, dass wir mehr über unsere eigenen Gedanken und Gefühle erfahren als über die des Komponisten. Dieses Nachsinnen gibt der Musik einen Wert, der über den Anlass der Entstehung weit hinausgeht.
Die erste Aufführung des Requiem in c-Moll fand zum Jahrestag der Hinrichtung Ludwigs XVI. am 21. Januar 1816 in der königlichen Begräbniskapelle von St. Denis in Paris statt. Der Erfolg war nachhaltig, das Requiem wurde schnell zum festen Bestandteil großer Trauerfeiern.
Auch Beethoven wurde zu diesen Klängen zu Grabe getragen. Als der ergreifendste Satz gilt das Agnus Die. In den letzten 20 Takten flüstert der Chor, begleitet von einer ostinaten Streicherfigur, die Worte Requiem aeternam dona eis, Domine, et lux perpetua luceat eis (Ewige Ruhe gib ihnen, Herr, und ewiges Licht leuchte ihnen) im strengen Kanon auf dem einzigen Ton c.
Für den Musikforscher Spitta klingt dies, „wie wenn eine Gemeinde eintönig ihre Totengebete murmelt.“ Selbst Cherubinis Intimfeind Berlioz fand, dass „das Agnus Dei alles übertrifft, was jemals in dieser Art geschrieben wurde.“ Die Geschichte des Marche funèbre markiert wichtige Stationen des Schaffens von Cherubini.
1797 schrieb er eine Trauerkantate auf den Tod des Revolutionsgenerals Hoche. Die Kantate enthielt einen Pompe funèbre genannten Trauermarsch. Dieser wurde mit großer Bläserbesetzung im Freien auf dem Marsfeld uraufgeführt und hatte großen Erfolg.
Anfang 1820 überarbeitete er ihn zur Trauerfeier für den ermordeten Herzog von Berry und nannte ihn nun Marche funèbre. Die Feierlichkeiten fanden wieder in St. Denis statt, auch das c-Moll-Requiem wurde aufgeführt. Auf Cherubinis eigener Beerdigung erklang die Neufassung wieder. Das In paradisum, entstanden 1820 für die Chapelle Royale, ist ein kleines Seitenstück zum großen Requiem. Der Text beschreibt die Freuden der Erlösten im Paradies und gehört zur Liturgie von Begräbnisgottesdiensten. Er wird häufig zum Abschluss der Trauerfeier am offenen Grab gesungen. Die heitere Gelöstheit von Cherubinis Vertonung entspricht dem tröstenden Inhalt. J
OACHIM RISCH
Zu dieser Einspielung
Wir haben dem c-Moll-Requiem Cherubinis Marche funèbre d-Moll vorangestellt. Diese Komposition dürfte ebenso wie das In Paradisum in ihrer vorliegenden Form zur Trauerfeier für den Herzog von Berry im Jahre 1820 entstanden sein, bei der auch das Requiem wieder aufgeführt wurde.
Die Chapelle Royale, das Ensemble, dem Cherubini als Musikdirektor am Hofe Ludwigs XVIII. vorstand, bestand im frühen 19. Jahrhundert aus 40-45 Instrumentalisten, angeführt von Rodolphe Kreutzer als Kapellmeister, und etwa 40 Choristen.
Cherubini galt als ausgesprochen genau, besser gesagt: pedantisch. Er hat seine Partituren nicht nur mit Metronomangaben versehen, sondern am Ende der einzelnen Sätze ihre Aufführungsdauer bis auf Viertelminuten (!) genau angegeben. Heutige Aufführungsdauern seiner Werke weichen oft erheblich von diesen Angaben des Komponisten ab.
Im Jahre 1828 erschien in der deutschen Musikzeitschrift Caecilia eine Rezension der beiden Erstdrucke des Requiems. Dabei wurde angemerkt, dass die neuere Simrock-Ausgabe entgegen dem französischen Erstdruck einige „Verbesserungen“ aufweise, „die Scansion der lateinischen Sprache betreffend, gegen welche indessen Tonsetzer der französischen Schule überhaupt in der Regel etwas gleichgültig zu sein pflegen“.
Diese „Gleichgültigkeit“ erscheint heute in anderem Licht, bedenkt man die unterschiedlichen Usancen der Lateinaussprache im 19. Jahrhundert. War Cherubini auch gebürtiger Italiener, ist seine Zusammenarbeit mit den französischen Sängern der Chapelle Royale eben an der Scansion einiger Stellen des Requiems, stärker aber noch des später entstandenen In Paradisum anzumerken: Manche Wörter sind nach französischer Art endbetont. Die daraus abzuleitende und auch durch historische Zeugnisse belegte französische Lateinaussprache, der wir in unserer Aufnahme folgen, lässt den Vokalklang in bemerkenswerten Schattierungen erscheinen, die nicht zuletzt zum Eigencharakter dieser Musik beitragen.
Auch sonst halten wir uns an das in Berlin befindliche Autograph des Requiems und hielten es für unnötig, in den handschriftlichen Originalpartituren Cherubinis „Verbesserungen“ vorzunehmen.
CHRISTOPH SPERING