CD 18 Johannes Brahms Ein deutsches Requiem

CD 18 JOHANNES BRAHMS (1833-1897) Ein deutsches Requiem Nach Worten der Heiligen Schrift

JOHANNES BRAHMS (1833-1897)

Ein deutsches Requiem

Nach Worten der Heiligen Schrift Londoner Fassung

1 Chor: Selig sind, die da Leid tragen 08:12

2 Chor: Denn alles Fleisch, es ist wie Gras 14:21

3 Bariton und Chor: Herr, lehre doch mich 10:48

4 Chor: Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth! 05:53

5 Sopran und Chor: Ihr habt nun Traurigkeit 06:25

6 Bariton und Chor: Denn wir haben hier keine bleibende Statt 11:22

7 Chor: Selig sind die Toten, die in dem Herren sterben 08:56

 

Besetzung

Soile Isokoski, Sopran

Andreas Schmidt, Bariton

Andreas Grau und Götz Schumacher, Pianoforte

 

Chorus Musicus Köln

Leitung: Christoph Spering

 

Als sich der Katalog seiner Werke der Zahl 50 näherte, war Johannes Brahms noch nicht 35 Jahre alt – und weit davon entfernt, ein arrivierter Komponist zu sein. Chormusik und Lieder, Kammermusik und Kompositionen für Klavier, ja, aber kaum eine Handvoll größerer Chor- oder Orchesterwerke verliehen dem jungen Mann Gewicht, der da einen Platz im Zentrum der musikalischen Welt, in Wien, beanspruchte.

Der grandiose Misserfolg seines d-Moll-Klavierkonzerts in Leipzig (1859) ließ daran zweifeln, dass er tatsächlich berufen war, »den höchsten Ausdruck der Zeit in idealer Weise auszusprechen«. Das hatte Robert Schumann 1853 prophezeit, ohne zu bedenken, auf welche Fallhöhe er damit den damals 20-Jährigen hob.

Das Entree bei seinem ersten Besuch in Wien, zehn Jahre später, verschafften ihm Werke wie das g-Moll-Klavierquartett op. 25, ausgesprochen populäre Stücke wie die Walzer op. 39 folgten, den eigentlichen Durchbruch aber brachten sie genauso wenig wie die großangelegte Rinaldo-Kantate, die dann die Opus-Nummer 50 trug. (Brahms hatte die Vertonung dieses Goethe-Gedichts nach einer Episode aus Tassos Gerusalemme liberata schon 1863 als Komposition für einen von der Aachener Liedertafel ausgeschriebenen Wettbewerb begonnen, kam aber nicht damit zu Rande; so blieb sie liegen und wurde erst 1869, nach Hinzufügung des Schlusschores, veröffentlicht.)

Das Werk, mit dem Brahms die Musikwelt erobern sollte, war ein ganz anderes – und so ungewöhnlich, wie es wohl niemand von ihm erwartet hatte: Ein Deutsches Requiem op. 45. Schon der Titel verrät, dass es sich bei diesem Requiem nicht um die traditionelle Totenmesse in Latein und nach katholischem Ritus handelt. Aber auch Brahms' eigener Glaubensrichtung, dem Protestantismus, ist es nur insofern zuzuordnen, als es Worte der Luther-Bibel waren, die der Komponist selbst für die Vertonung auswählte, Worte jedoch, die Christus und damit den Bezugspunkt aller evangelischen Theologie aussparen.

Aus ebendiesem Grund musste bei der Erstaufführung im Bremer Dom am Karfreitag 1868 die Arie »Ich weiß, dass mein Erlöser lebet« aus Händels Messias eingeschoben werden. An ihre Stelle rückte bei der Uraufführung der endgültigen (siebenteiligen) Fassung am 18. Februar 1869 im Leipziger Gewandhaus das nachkomponierte Sopran-Solo »Ihr habt nun Traurigkeit«, dessen Botschaft freilich ebenso unorthodox erscheint wie die der anderen von Brahms verwendeten Textstellen aus dem Alten und Neuen Testament und aus den Apokryphen. Zehn Jahre nach dem Klavierkonzert op. 15 fiel auch das Requiem in Leipzig durch; nicht besser war die vorab (»aus dem Manuskript«) erfolgte Aufführung der Sätze I-III am 1. Dezember 1867 in Wien aufgenommen worden.

Dennoch, die Weichen für den Erfolg waren seit der enthusiastischen Aufnahme des Werks im mit annähernd 2.500 Zuhörern vollbesetzten Bremer Dom gestellt. Und auch in Leipzig hatte es ja an »sympathischen Ohren« nicht gefehlt: »ein modernes Meisterwerk«, das – wir erinnern uns der prophetischen Worte Schumanns – »den höchsten Ausdruck unserer Zeit in idealer Weise ausgesprochen« habe, nannte es der AMZ-Korrespondent Adolf Schubring, der schon in Bremen dabei gewesen war und fortan publizistisch den Ruhm des Requiems verbreiten half. (Von Schubring liegen übrigens auch Berichte über Aufführungsdauern vor, welche die in der Partitur enthaltenen, doch in späteren Druckausgaben getilgten Metronomzahlen bestätigen und, vor allem für den letzten Satz, ein eher rasches Tempo nahelegen).

Noch im selben Jahr fanden in einem Dutzend weiterer deutscher Städte Aufführungen statt, je zwei auch in Basel und Zürich, und bereits 1872 war das Requiem in Utrecht und Petersburg zu hören. Wie groß das Interesse im Ausland war, zeigt die Tatsache, dass schon Anfang Juli 1871 in London eine Privataufführung zustande kam, geleitet von Julius Stockhausen, dem Dirigenten und Sänger, der in Bremen die Baritonpartie übernommen hatte und sich auch hier als Solist betätigte. Als Grundlage diente eine englische (!) Textfassung und das vom Komponisten selbst erstellte Klavier-Arrangement.

Dass dieses vierhändige Arrangement nicht – wie bei den späteren Chor- und Orchesterwerken, mit Ausnahme des »Triumphliedes« op. 55, die Regel – von fremder Hand stammt, ist an sich schon bemerkenswert. Der Mühe, es selbst zu machen, unterzog sich Brahms offenbar gern, auch wenn er in der Druckfassung nicht als sein eigener Arrangeur genannt werden mochte. Das Honorar, das er sich ausbat, betrug stattliche 30 Napoleondors (»Ehrensold muss Gold sein, nicht Papier«), immerhin mehr als ein Viertel dessen, was er für die Partitur erhalten hatte.

Schon am 30. Januar 1869, während sich die Erstausgabe der Partitur und des zweihändigen Klavierauszuges noch im Druck befand, schrieb Brahms seinem Verleger Rieter-Biedermann in Winterthur: »Die Hölle ist absolviert«, und vorher, im gleichen ironischen Ton: »Ich habe mich der edlen Beschäftigung hingegeben, mein unsterbliches Werk auch für vierhändige Seelen genießbar zu machen. Jetzt kann's nicht untergehen. Übrigens ist es ganz vortrefflich geworden…« Ein weiterer Grund, in dieser Klavierfassung nicht nur einen praktischen Behelf zu sehen, der die Einstudierung erleichterte (und gewiss auch zur schnelleren Verbreitung beitrug), liegt in den ältesten und tiefsten Schichten der Requiem-Partitur.

Wer ihre Entstehung zurückverfolgt, stößt auf eine Sonate für zwei Klaviere aus dem Jahr 1854, die sich in einem langwierigen Prozess schließlich in das d-Moll-Klavierkonzert verwandelte; ein langsames »Scherzo im Sarabandentempo« aus der ursprünglich viersätzigen Sonate aber fand, den Erinnerungen des Brahms-Freundes Albert Dietrich zufolge, Eingang in eine Trauerkantate auf den Text »Denn alles Fleisch, es ist wie Gras«: den späteren mit »Langsam, marschmäßig« überschriebenen zweiten Satz des Requiems.

Wie sehr Brahms beim Komponieren vom Klavier her dachte – und das nicht nur in seiner Vor-Wiener Zeit –, belegen die erhaltenen Skizzen »im quasi-Klavierauszug« (McCorkle), etwa zur Alt-Rhapsodie op. 53. Auch angesichts solcher Befunde muss man Brahms' Klavierauszügen einen hohen Eigenwert bescheinigen, zumal im Falle des vierhändigen Requiem-Arrangements, schien es doch ihm selbst, »es hätte auch kein Schlechtester die vielen Noten dafür geschrieben oder vielmehr die wenigen aus den vielen herausgesucht«.

Aber welche Argumente man auch immer dafür oder dagegen anführt: Es war dieses Arrangement, das in London vor 125 Jahren, am 10. Juli 1871 (oder am 7.7., wie die Brahms-Biographin Florence May behauptet?) in den Räumen des Hauses von Sir und Lady Thompson in der Wimpole Street, den Weltruhm des Komponisten Johannes Brahms ein gutes Stück beförderte.

© JOHANNES JANSEN