Nr. 11 Beethoven Christus am Ölberg CD Cover
LUDWIG VAN BEETHOVEN (1770-1827)
Christus am Ölberge
op. 85
CD Cover

CD 11 BEETHOVEN Christus am Ölberge

CD 11 LUDWIG VAN BEETHOVEN (1770-1827) Christus am Ölberge op. 85

LUDWIG VAN BEETHOVEN (1770-1827)

Christus am Ölberge

op. 85

1 No.1 - Introduzione 05:25

2 No.1 - Recitativo - Jesus: Jehova, Du mein Vater 03:51

3 No.1 - Aria Allegro - Jesus: Meine Seele ist erschüttert 04:25

4 No.2 - Recitativo Allegro - Seraph: Erzittre Erde! 01:30

5 No.2 - Aria Larghetto - Seraph: Preiset des Erlösers Güte 00:52

6 No.2 - Aria Allegro - Seraph: Heil Euch, ihr Erlösten 02:17

7 No.2 - Allegro - Chor der Engel: Heil Euch, ihr Erlösten 04:28

8 No.3 - Recitativo - Jesus: Verkündet, Seraph, mir dein Mund 01:08

9 No.3 - Adagio molto - Duetto Jesus, Seraph: Ruhe denn mit ganzer Schwere 05:34

10 No.4 - Recitativo Andante con moto - Jesus: Wilkommen, Tod 01:04

11 No.4 - Alla Marcia - Chor der Krieger: Wir haben ihn gesehen 02:31

12 No.5 - Recitativo L'istesso tempo della Marcia - Jesus: Die mich zu fangen ausgezogen sind 01:19

13 No.5 - Tempo della Marcia - Chor der Krieger & Chor der Jünger: Hier ist er 02:24

14 No.6 - Recitativo Molto Allegro - Petrus, Jesus: Nicht ungestraft 01:17

15 No.6 - Allegro ma non troppo - Terzetto Petrus, Jesus, Seraph: In meinen Adern wühlen 04:42

16 No.6 - Molto allegro - Chor der Krieger: Auf, auf! Ergreifet den Verräter 02:27

17 No.6 - Maestoso - Chor der Jünger: Welten singen 01:06

18 No.6 - Allegro - Schlusschor der Engel: Preiset ihn, ihr Engelschöre 02:41

 

Seraph: Simone Kermes, Sopran

Jesus: Steve Davislim, Tenor

Petrus: Eike Wilm Schulte, Bass

 

Chorus Musicus Köln

Das Neue Orchester

Christoph Spering, Leitung 

 

LUDWIG VAN BEETHOVEN CHRISTUS AM ÖLBERGE

op. 85

 

DIE ENTSTEHUNG

von Beethovens einzigem vollendeten DIE ENTSTEHUNG Oratorium, Christus am Ölberge op. 85, fällt nach den alles überragenden modellhaften Oratorienkompositionen Haydns in eine Phase völliger Sterilität deutscher Oratoriumskomposition. Beredter Ausdruck dieser ästhetischen Orientierungslosigkeit ist der äußerst skrupulöse Umgang Beethovens mit einer auffallend großen Anzahl an Projekten, Textentwürfen, Oratorienaufträgen und Libretto-Bearbeitungen in der Entstehungsphase des Werkes, die er am Ende doch allesamt wieder verwirft.

Nach Beethovens eigenen Angaben zu schließen ist das Werk nach langem Zögern innerhalb kürzester Zeit komponiert worden und wurde am 5. April 1803 im Rahmen einer eigenen Akademie Beethovens, die Fürst Lichnowsky ihm zu Ehren im Theater an der Wien gab, zusammen mit dem 3. Klavierkonzert c-Moll und der 2. Symphonie D-Dur uraufgeführt.

Bereits im Jahr nach der Uraufführung nahm sich Beethoven die Komposition zur Umarbeitung noch einmal vor und publizierte das Oratorium in dieser zweiten Fassung erst 1811. Die zweiteilige Anlage des Librettos basiert auf den biblischen Evangelienberichten von Christus und die Jünger am Ölberg und von der Gefangennahme Jesu.

Der im Wien seiner Zeit als beliebtester Opernlibrettist geltende Franz Xaver Huber verzichtet zugunsten einer Reduktion der Handlungsdetails auf die im Oratorium übliche Person des Erzählers und kann dadurch das Geschehen vollkommen auf die stark individualisierte und charakterlich differenzierter als in den objektivierenden Evangelienberichten gezeichnete Person Jesu zentrieren.

Die Empfindungen Jesu (von der Furcht über das Gebet bis hin zur Fügung unter den göttlichen Ratschluss) rücken in das Zentrum des Geschehens und wandeln die biblisch sachliche Überlieferung zu einem – entgöttlichten und damit vermenschlichten – anschaulichen Seelendrama.

Die konkrete Ebene der Todesstunde Jesu, in der der Heiland abseits der Jünger angsterfüllt seinen Vater um Erbarmen anruft, wird durch die objektivierenden Hinweise des Seraphs auf die durch Jesu Tod erwirkte Auferstehung der Gerechten und die Vision des Ewigen Lebens mit den Heilsrufen der Engelschöre gemildert verlassen. Die Einwilligung Jesu, zur Erlösung der Menschheit sein individuelles Schicksal zu erleiden, beschließt den ersten undramatischen Teil des Oratoriums.

Dem monologischen ersten Teil des Oratoriums folgt eine theatralisch intendierte Szene, die mit der Suche heraufziehender Heerscharen von Kriegern nach Jesus und seinem tatsächlichen Auffinden beginnt, dem zögerlichen Eingreifen der Jünger und der durch Jesus verhinderten Gegenwehr des Petrus fortgeführt wird und in einem zukunftsgerichteten Jubilus der Engelschöre endet.

Die dramaturgische Anlage des Librettos begründet die musiksprachlichen Extreme von Epik (für den meditativen Prolog) und Dramatik (für die handlungsgezeugte Szene der Gefangennahme). Das ausladende Orchestervorspiel als zweistufige Einführung in das Geschehen zu betrachten, legt nicht allein die Wahl der Tonart Es-Dur nahe, die nach der zeitgenössischen Charakteristik hervorragend geeignet ist, Empfindungen der Furcht, "der hinbrütenden Verzweiflung, der schwärzesten Schwermut, der düstersten Seelenverfassung" auszudrücken (Schubart). Der 'sprechende' Charakter des Vorspiels wird sinnfällig durch die im Wechsel von stockenden mit melodiösen Abschnitten komponierte Diskontinuität.

Der die gesamte oratorische Komposition durchziehende Gestus dubitativer Zerrissenheit markiert als paradigmatische Musikalisierung nicht allein die sich anschließenden Rezitative und Arien Jesu und des Seraphims, sondern auch den die Szene teilenden Engelschor. In seiner Vision der Trennung von Gerechten und Ungerechten beim Jüngsten Gericht kehrt der Chor nach abruptem Wechsel in die Untergangsvision – verdeutlicht durch Beethovens Rückgriff auf die traditionelle Fugentechnik und unaufgelöste Akkorde – durch einen ebenso abrupten Wechsel wieder in den Heilsgestus zurück, für den die Koloraturen des Seraphims und die Soloflöte eine entspannte Wendung signalisieren.

Einen entsprechenden versöhnlichen Gestus (u. a. in der Instrumentation mit einem Solo-Violoncello) bezeugt die Schlussgestaltung des ersten Teils mit äußerst sensiblem Einsatz nur weniger wortgezeugter orchestraler Begleitfiguren (Duett Jesus/Seraphim). Das rhythmisch streng strukturierte Instrumentalvorspiel, melodische wie harmonische Simplizität im Kriegerchor, sind Reminiszenz an die dramaturgische Disposition.

Das Motiv des Kriegerchores wird konstitutiv für die Szene; seine Wiederaufnahme schafft die Verbindung zwischen den Abschnitten, die in ihrer musikalischen Gestaltung Anleihen bei theatralischer Musik (Männerchor, Unisono, Pauken und Trompeten, Sequenzierungen, Wiederholung der Erkennungsszene etc.) nicht verleugnen.

Das den Schluss einleitende, zunächst sukzessiv komponierte und spät erst zum Ensemble zusammengeführte Terzetto basiert auf drei kontradiktorisch-musikalischen Charakterisierungen: Petrus vertritt hierin mit seinen agitato-Partien den Charakter des Zorns, Jesus hingegen mit aus dem Rezitativ aufgenommenen melodiösen Wendungen den Charakter der Gnade; dazwischen vermittelnd steht Seraphim.

Eine traditionalistische Wendung nimmt der (wahrscheinlich erst 1804 nachkomponierte) Schlusschor der Engel. Unzweifelhaft ist die in der Tradition des 'Leben-Jesu'-oder 'Messias-Oratoriums' zu sehende Komposition das Werk einer Übergangszeit. Während in der genannten Tradition die rationalistische Auffassung des Passionsstoffes eher zutage tritt, betont Beethovens Akzentuierung der Szene eher die leidenschaftliche musikalische Deutung.

Dass ein singender Heiland nicht wahrhaftig wirken könne und in die Niederungen der Wirklichkeit herabgezogen wirke, kennzeichnet die Kritik der Zeitgenossen an der Komposition ebenso wie die viel stärker wirkende Einschränkung der Diskrepanz der Mittel: die theatralische Gestaltung der Szene und der pathetische Ton der Musiksprache sei eher einer exzentrischen (opernhaften) Erzählung angemessen, wohingegen vom Oratorium eine konzentrische Begebenheit und eine entsprechend gebundene Komposition einer musikalischen Mitte erwartet werde, die bei allem Reiz und Kontrast auf äußere Versinnlichung verzichte und in Einheitlichkeit gipfele.

NORBERT BOLIN